Wann war für euch klar, dass ihr mittelständische Skalierung anstrebt – und warum?
Als wir gestartet sind, hatten wir ehrlich gesagt noch gar kein klares Bild davon, was genau der Unterschied zwischen einem mittelständisch skalierten Unternehmen und einem stark wachstumsorientierten Startup ist. Wir waren noch sehr grün hinter den Ohren und sind Schritt für Schritt in diese Welt hineingewachsen. Erst mit der Zeit – ungefähr im zweiten Jahr nach der Gründung – haben wir verstanden, wie unser Geschäftsmodell am lukrativsten funktioniert, wie die Marktmechanismen aussehen und welches Potenzial realistisch in unserem Ansatz steckt.
Dabei wurde uns bewusst, dass wir vermutlich nicht das Potenzial haben, ein Unicorn zu werden. Stattdessen haben wir gesehen, dass wir uns eher als ein „Hidden Champion“ positionieren können: ein Unternehmen, das in der Lage ist, eine Weltmarkttechnologie zu entwickeln, sie nachhaltig zu sichern und daraus ein solides Geschäftsmodell mit einer starken Rendite zu generieren – allerdings ohne den Druck, auf Teufel komm raus in die Unicorn-Liga vorzustoßen. Diese Erkenntnis hat uns dann klar in Richtung einer mittelständischen Skalierung geführt.
Warum passt Hyper-Growth nicht zu euch?
Hyper-Growth setzt voraus, dass ein Unternehmen eine extrem starke Marktnachfrage nicht nur weckt, sondern auch sofort bedienen kann. Damit verbunden ist in der Regel ein rasanter Umsatzanstieg, der durch große Finanzierungsrunden zusätzlich befeuert wird. Für uns als Hardware-Startup in der Mobilitätsbranche ist dieses Modell jedoch nicht realistisch. Die Produktzyklen unserer Kunden – insbesondere der OEMs bzw. Hersteller – sind sehr lang, und dieser Prozess lässt sich auch mit viel Kapital nicht wesentlich beschleunigen.
Selbst wenn wir versuchen würden, Wachstum auf diese Weise zu erzwingen, würden wir Gefahr laufen, an den Erwartungen großer Investoren zu scheitern, falls die Umsätze nicht schnell genug nachziehen. Stattdessen ist unser Weg bewusst langfristiger und nachhaltiger angelegt. Bis ein neues Produkt bei den Herstellern im Markt Fuß fasst, vergehen oft Jahre. Zunächst wird mit kleinen Serien gestartet, um zu prüfen, ob sich die Technologie bewährt. Erst danach folgen größere Aufträge. Genau deshalb passt ein Hyper-Growth-Ansatz nicht zu uns – unser Wachstum ist langsamer, dafür aber stabiler und nachhaltiger.
Sollte Startup-Finanzierung deiner Meinung nach neu gedacht werden?
Meiner Ansicht nach muss die Startup-Finanzierung nicht neu gedacht werden. Vielmehr sollten Gründerinnen und Gründer selbst bewusster und realistischer an das Thema herangehen. Entscheidend ist die Frage: Welches Geschäftsmodell passt wirklich zu mir? Bin ich wirklich ein potenzielles Unicorn – oder ein Hidden Champion? Diese ehrliche Selbsteinschätzung ist die Grundlage dafür, eine passende Finanzierungsstrategie zu entwickeln.
Unser eigener Ansatz war es, externe Investoren möglichst spät an Bord zu holen. Der Grund: In einer sehr frühen Phase ist ein Unternehmen noch wenig wert. Gibt man dann zu viele Anteile ab, verliert man schnell Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit – genau jene Stärken, die mittelständische Unternehmen auszeichnen. Bleibt man hingegen länger unabhängig, kann man agiler handeln, strategischer planen und langfristig im Markt bestehen, statt nach wenigen Jahren an einen großen Player verkauft zu werden.
Genau hier liegt auch die gesellschaftliche Dimension: Wenn mittelständisch geprägte Startups ohne Unicorn-Potenzial trotzdem versuchen, ein auf Hyper-Growth ausgerichtetes Finanzierungsmodell zu fahren, entstehen am Ende keine neuen Hidden Champions. Stattdessen verpuffen die Erwartungen von Investoren wie Gründern, und vielversprechende Unternehmen verschwinden durch Übernahmen. Dabei sind es gerade eigenständige, innovative Marktführer, die unsere Wirtschaft so stark machen. Deshalb sind nicht zwangsläufig die fehlenden Möglichkeiten der Finanzierung das Problem – sondern die fehlende Ehrlichkeit und Passgenauigkeit bei der Wahl des Finanzierungsmodells.
Was wünschst du dir von Investoren, die in mittelständisch-orientierte Startups investieren wollen?
Von Investoren, die in mittelständisch-orientierte Startups investieren wollen, wünsche ich mir vor allem eines: die Bereitschaft, die Eigenständigkeit dieser Unternehmen langfristig zu sichern. Unser Ziel muss es sein, dass junge Firmen nicht vorschnell in den Strukturen großer Konzerne verschwinden, sondern die Chance haben, eigenständig zu marktführenden Innovationsführern – zu den Hidden Champions von morgen – heranzuwachsen.
Dafür braucht es jedoch nicht nur die Haltung der Investoren, sondern auch die richtigen Rahmenbedingungen von staatlicher Seite. Förderprogramme sollten so gestaltet sein, dass Startups zunächst genügend Luft zum Atmen und Wachsen haben, bevor sie überhaupt Investoren aufnehmen müssen. Dazu gehören unter anderem verbesserte Fördermöglichkeiten sowie die Chance, auch über spezielle Kreditprogramme an Finanzierung zu gelangen – Programme, die zum Beispiel eine teilweise persönliche Haftungsübernahme durch den Staat ermöglichen. Wenn diese Voraussetzungen geschaffen sind, können Gründer Investoren zum richtigen Zeitpunkt und zu den richtigen Bedingungen – insbesondere mit Blick auf faire Unternehmensbewertungen und Risiko – an Bord holen.
Mein Appell richtet sich deshalb an beide Seiten: an den Staat, solche Fördermechanismen aufzubauen, und an Investoren, die Bereitschaft mitzubringen, mittelständisch orientierte Startups nicht auf einen schnellen Exit zu drängen, sondern deren Potenzial zur nachhaltigen Eigenständigkeit anzuerkennen und zu fördern. Nur so können wir die Innovationskraft, Agilität und Flexibilität dieser jungen Unternehmen bewahren – und genau das ist es, was unsere Gesellschaft braucht.