Strategien zur Steigerung der Qualität von Patentanmeldungen im „Life-Sciences“-Bereich - Teil 2

 

Der Begriff „Life Sciences“ umfasst wissenschaftliche Disziplinen, die sich mit den Strukturen und Prozessen von Lebewesen beschäftigen, darunter Biotechnologie, Chemie, Biologie und Medizin. In der wissensbasierten Wirtschaft spielt der Schutz geistigen Eigentums eine zentrale Rolle, da er Innovationen fördert und die Verbreitung neuer Technologien unterstützt. In den letzten zehn Jahren hat sich der wirtschaftliche Wert von Patenten gewandelt; sie werden zunehmend als eigenständige Vermögenswerte betrachtet. Hochwertige Patente bieten Startups und Gründern entscheidende Wettbewerbsvorteile, indem sie Investitionen sichern, Kooperationen ermöglichen und vor Nachahmern schützen. Der Marktwert eines Patents hängt von seiner Qualität ab, einschließlich des Innovationsvorsprungs, des Schutzumfangs und des potenziellen Nutzens. 

Zwei Strategien, die die Qualität von Patentanmeldungen erheblich verbessern, haben wir bereits im ersten Teil vorgestellt. Der zweite Teil befasst sich mit weiteren Strategien wie dem "Zwei-Listen-Prinzip" und den Patentkategorien.

 

3. Neuheit und das sogenannte "Zwei-Listen-Prinzip"

Im deutschen und europäischen Patentrecht umfasst der Stand der Technik alles, was vor der Einreichung einer Patentanmeldung öffentlich zugänglich war – sei es durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, Nutzung oder auf andere Weise.Eine Erfindung muss zum Zeitpunkt der Patentanmeldung neu sein. Das bedeutet, sie darf vor dem Tag der Einreichung der Patentanmeldung in keiner Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein.

Dazu gehören schriftliche und mündliche Beschreibungen, Benutzung und andere Formen der Offenbarung.

Dieses Neuheitserfordernis stellt sicher, nur wirklich neue Ideen patentiert werden können, und verhindert, dass der Stand der Technik erneut patentiert wird.

Die chemische Zusammensetzung eines Produkts gehört beispielsweise zum Stand der Technik, wenn das Produkt der Öffentlichkeit zugänglich ist und vom Fachmann analysiert und nachgebildet werden kann - unabhängig davon, ob es besondere Gründe für diese Analyse gibt. Dasselbe gilt entsprechend auch für andere Produkte.

Mit anderen Worten: Alles, was bereits öffentlich zugänglich ist, kann nach deutschem und europäischem Patentrecht nicht patentiert werden.

Die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat klare Regeln dafür aufgestellt, wann eine Erfindung als neu gilt und wann nicht. Diese Standards werden  auch von den Prüfern bei der Beurteilung der Neuheit angewendet.

So gilt, dass eine Auswahl aus nur einer Liste spezifischer Elemente noch keine Neuheit begründet. Die Neuheit wird jedoch bejaht, wenn eine Auswahl aus zwei oder mehr Listen erforderlich ist, um eine spezifische Kombination zu erhalten, die im Stand der Technik nicht offenbart ist.

Beispiel für die Auswahl aus einer Liste:

  • Bekannt ist: „Zusammensetzung umfassend Merkmal 1, Merkmal 2 und Merkmal 3, wobei Merkmal 3 aus Iod, Brom, Chlor oder Fluor ausgewählt wird“.
  • Ein Anspruch auf „Zusammensetzung umfassend Merkmal 1, Merkmal 2 und Merkmal 3, wobei Merkmal 3 Chlor ist“ wäre nicht neu.

Autorin

Clarissa Regler ist Patentanwältin bei Winter Brandl. Ihr Fokus liegt auf Patenterteilungs-, Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren im Bereich der Biotechnologie und Chemie sowie der Beratung von Startups zum Schutz ihrer Innovationen.

Beispiel für die Auswahl aus zwei Listen:

Zum Beispiel kann ein Anspruch die Verwendung von Natriumchlorid (NaCl) als Katalysator in einer chemischen Reaktion definieren. Wenn der Stand der Technik die Verwendung eines Alkalimetallhalogenids als Katalysator beschreibt, wobei das Alkalimetall aus Li, Na, K und Rb ausgewählt und das Halogenid aus F, Cl, Br und I ausgewählt wird, ist eine Auswahl aus zwei Listen erforderlich, um zu der spezifischen Kombination des Anspruchs zu gelangen. Mangels weiterer Informationen im Stand der Technik ist der Anspruch neu gegenüber D1.

Für die eigene Anmeldung bedeutet dies, dass die Beschreibung spezifische Beispiele und bevorzugte Kombinationen von Merkmalen enthalten sollte. Dadurch wird es möglich, später  Änderungen vorzunehmen und gleichzeitig vermieden, dass die Anmeldung unter das „Zwei-Listen-Prinzip“ fällt und eine bestimmte Kombination sonst nicht als ursprünglich offenbart gelten könnte.

Ein aus einem größeren Zahlenbereich des Stands der Technik ausgewählter Teilbereich gilt als neu, wenn jedes der zwei folgenden Kriterien erfüllt ist:

  • der ausgewählte Teilbereich ist im Vergleich zu dem bekannten Bereich eng,
  • der ausgewählte Teilbereich hat genügend Abstand von konkreten im Stand der Technik offenbarten Beispielen.

Beispiel:

  • Stand der Technik:

Ein Patent beschreibt einen Bereich für die Konzentration eines Wirkstoffs, z. B.: "Die Konzentration des Wirkstoffs liegt zwischen 1% und 20%."

Im Stand der Technik sind auch spezifische Beispiele genannt, wie:

Beispiel X: Konzentration von 2 %.

  • Erfindung: Die neue Erfindung beansprucht einen engeren Bereich, z. B.:
    "Die Konzentration des Wirkstoffs liegt zwischen 6% und 9%."

Dieser beanspruchte Bereich erfüllt die Kriterien für Neuheit, da:

1. der ausgewählte Teilbereich von 6 % bis 9 % im Vergleich zu dem bekannten Bereich (1 % - 20 %) eng ist, und

2. der ausgewählte Teilbereich (6 % bis 9 %) genügend Abstand von konkreten im Stand der Technik offenbarten Beispielen (Beispiel: 2 %) hat.

Darüber hinaus sollte die Erfindung für die erfinderische Tätigkeitsdiskussion möglichst für diesen Bereich durch einen unerwarteten technischen Effekt gestützt werden, z. B.: "Die Konzentration von 6% bis 9% führt zu einer verbesserten Stabilität, da […]."

Um die Erfolgsaussichten für eine Patentierung zu maximieren, ist es wichtig, in der Beschreibung engere, bevorzugte Bereiche anzugeben. Diese dienen als Rückfallposition, falls der ursprünglich beanspruchte Bereich während des Prüfungsverfahrens eingeschränkt werden muss.

4. Berücksichtigung des technischen Effekts und die erfinderische Tätigkeit

Technische Effekte sollten in der Patentanmeldung ausreichend dokumentiert werden. Dadurch wird die Grundlage für die Verwendung postpublizierter Daten geschaffen, falls diese zur Untermauerung der erfinderischen Tätigkeit benötigt werden.

Das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit wird auch als Nicht-Offensichtlichkeitserfordernis bezeichnet.

Es besagt, dass eine Erfindung für eine Person mit normalen Fachkenntnisse auf dem betreffenden Gebietnicht naheliegend sein darf.  Mit anderen Worten: Die Erfindung darf nicht etwas sein, auf das ein Fachmann ohne weiteres hätte kommen können, wenn er sich an dem orientiert hätte, was auf dem betreffenden Gebiet bereits bekannt ist.

Das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit soll sicherstellen, dass Patente nur für wirklich innovative und nicht naheliegende Ideen erteilt werden.

Der technische Effekt der Erfindung sollte somit bereits in der Beschreibung deutlich gemacht werden, um später postpublizierte Daten als Unterstützung heranziehen zu können.

5. Patentkategorien

Patentansprüche definieren die Erfindung in klaren und präzisen Worten. Sie sind entscheiden um festzustellen, ob die Erfindung patentierbar ist, und legen fest, welcher Umfang durch das Patent geschützt ist - sowohl im Umgang mit Patent- und Markenämtern als auch bei potenziellen Verletzern.

Während die Beschreibung die Erfindung so klar und vollständig darstellt, dass ein Fachmann sie ausführen kann, definieren die Ansprüche den Schutzumfang der Erfindung.

Der unabhängige Anspruch muss alle wesentlichen Merkmale enthalten, die zur Lösung der erfindungsgemäßen technischen Aufgabe erforderlich sind. Abhängigen Ansprüche ermöglichen es, bestimmte Ausführungsformen der Erfindung zu beanspruchen, und können als Rückfallpositionen dienen.

Darüber hinaus können verschiedene Kategorien wie Erzeugnis, Vorrichtung, Verfahren und Verwendung in einem Anspruchssatz beansprucht werden. Bei vielen Erfindungen sind für einen umfassenden Schutz Ansprüche in mehreren Kategorien erforderlich.

Außerdem kann eine Recherche zur Patentierbarkeit hilfreiche Erkenntnisse darüber liefern, was bereits als Stand der Technik gilt, um weitere gezielte Abgrenzungsmöglichkeiten in die Beschreibung aufzunehmen.

6. Zusammenfassung

Die Qualität von Patentanmeldungen im Life-Science-Bereich hängt entscheidend von der sorgfältigen und strategischen Ausarbeitung der Patentanmeldung ab. Durch die Berücksichtigung der oben genannten Punkte kann sie erheblich gesteigert werden.

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