EGYM: Digitalisierung der Fitnessbranche

CEO Philipp Roesch-Schlanderer im Interview

2010 nahm EGYM am Münchener Businessplan Wettbewerb teil, das BayStartUP Investoren-Netzwerk unterstützte in den ersten Finanzierungsrunden. Seitdem ging es mit dem Unternehmen steil bergauf – trotz diverser Herausforderungen. 

Herr Roesch-Schlanderer, Sie sind 2013 angetreten als Innovationstreiber in der Fitnessbranche, und sind für Ihre Kunden in diesem Bereich ganz neue Wege gegangen. Was war damals das Besondere an Ihrer Lösung?

Die Idee zu EGYM entstand aus unseren persönlichen Erfahrungen als Trainierende im Fitnessstudio. Wir sahen bei unseren Gym-Besuchen schnell, dass sich diese Trainingsangebote nicht für den Massenmarkt eigneten. Es fehlte an Orientierung in allen Belangen: An welche Maschinen soll ich gehen, wie stelle ich sie ein, mit wie viel Gewicht muss ich trainieren, wie lange, wie häufig? Kurz: Viel zu viele neue Studiokunden wie wir damals scheitern gleich zu Beginn – übrigens bis auf den heutigen Tag –, weil das Training nicht für sie personalisiert ist und sie während des Trainings nicht ausreichend an die Hand genommen werden. Vor allem aber macht den meisten das Trainieren einfach keinen Spaß. Die Leute gehen ins Studio, um etwas für ihren Körper oder ihre Gesundheit zu tun, aber letztlich ist das Training für viele so spannend wie Fußball ohne Tore zu zählen.

Das wollten wir ändern, und das geht nur mit intelligenten und digital vernetzten Trainingsgeräten, die die Trainierenden sofort erkennen und alle Geräte automatisch einstellen. Wir waren die ersten, die das mit unserem softwarebasierten Ansatz angegangen sind.

Philipp Roesch-Schlanderer, CEO von EGYM

Inwiefern hat sich die Situation am Markt in den letzten Jahren verändert?

Fitnessstudios sind inzwischen keine analogen Inseln mehr. Die Leute haben Smartphones, ihr Leben ist zunehmend digital, selbst modernes Home-Equipment ist vernetzt. Da können die Gyms nicht länger außen vor bleiben, wenn sie nicht abgehängt werden wollen. Corona hat die Digitalisierung deutlich beschleunigt, auch deshalb, weil für die Mitglieder gesundheitsorientiertes Training mega wichtig ist und sie einfach sicher gehen wollen, dass ihnen ihr Training etwas bringt.

Sie haben 2010 am Münchener Businessplan Wettbewerb teilgenommen. Wie kam es damals dazu?

Carsten Rudolph hatte uns damals in einigen Fragestellungen beraten und Zugang zu verschiedenen Treffen ermöglicht. Das war sehr lehrreich für uns, und darum haben wir dann auch am MBPW teilgenommen.

Inwiefern hat der Wettbewerb dazu beigetragen, Sie auf den Markteintritt vorzubereiten?

Es war für uns sehr wertvoll, unser geplantes Geschäftsmodell einmal komplett von A bis Z durchzudenken, und zwar innerhalb eines klar vorgegeben Rahmens. Dabei ging es weniger um den konkreten Businessplan selbst als vielmehr darum, einmal einzelne Input-Faktoren zu beleuchten und zu sehen, welche Auswirkungen diese auf den Plan haben.

Haben sich die Erwartungen aus Ihrem Businessplan damals erfüllt?

Vieles ging auf, einiges wiederum nicht, und andere Dinge kamen neu hinzu. Festzuhalten bleibt allerdings, dass wir sehr davon profitiert haben, all das über den MBPW sauber durchdenken zu können.

Was waren die wesentlichen Meilensteine Ihres Unternehmens im Anschluss an den Wettbewerb?

Besonders stolz bin ich darauf, dass wir seit unserer Gründung Mitte 2010 kontinuierlich Innovationen in den Markt gebracht haben, die unsere Kunden und ihre Mitglieder erfolgreicher machen. Ende 2012 haben wir unsere ersten vollelektronischen Kraftgeräte an Fitnessstudios ausgeliefert. Sie waren immer online, miteinander vernetzt und erkannten jeden Nutzer – eine echte Sensation.

Über die Zeit entwickelten wir immer wieder neue softwaregestützte Trainingsmethoden und -ziele, darunter explonisches Training zur Steigerung der Schnellkraft, ein Trainingsprogramm, das sich speziell an Diabetes-Typ-2-Patienten richtet und vor einem Jahr, zu Beginn der Pandemie, unser Immunity-Boost-Programm, das das Immunsystem stärkt. Dann haben wir verschiedene Apps für Mitglieder, Trainer und die Studios entwickelt – für eine optimale und individualisierte Betreuung. Und über unsere EGYM Cloud binden wir inzwischen auch Devices vieler anderer führender Hersteller an, d.h. Training an diesen Geräten oder mit diesen Apps ist genauso einfach wie an den EGYM Produkten.

Vor wenigen Wochen haben wir schließlich unseren EGYM Fitness Hub gelauncht. Er ist eine Art Herzstück in Fitness- und Gesundheitsanlagen und verkürzt die Zeit fürs Onboarding neuer Mitglieder von 20 auf gerade mal zwei Minuten. Außerdem misst er regelmäßig den Trainingsfortschritt, einfach nachvollziehbar angezeigt auf einem großen Bildschirm. Erstmals ist mit dem Fitness Hub die Messung der Beweglichkeit möglich. Die Entwicklung von Kardio, Kraft und Stoffwechsel erfassen wir ebenfalls und können somit jetzt allen Trainierenden sehr präzise und umfassend ihren Trainingserfolg, ihr sogenanntes BioAge, in der Branded Member App angeben.

EGYM Fitness Hub

Unsere Investoren honorieren das und haben EGYM bisher über 130 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt. Die Entwicklung einer international wettbewerbsfähigen Software erfordert eben extrem hohe Investitionen. Aber es war immer unser Anspruch, eine globale Company zu sein. Und mit Präsenzen in allen wichtigen europäischen Märkten und in den USA sind wir auf einem guten Weg.

Welche Situationen waren für Sie als Gründer retrospektiv die größten Herausforderungen?

Gleich am Anfang verklagte uns ein Wettbewerber wegen vermeintlicher Patentverletzung. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nicht eine Maschine verkauft. Wir waren uns zwar hundertprozentig sicher, nichts Falsches oder gar Unrechtes getan zu haben, aber dieses Verfahren zog sich über mehr als drei lange Jahre hin. Anfang 2016 obsiegten wir vollumfänglich und letztinstanzlich vor dem OLG München. Das war für uns Bestätigung und Ansporn zugleich, mit Vollgas weiterzumachen.

Dann ist es natürlich immer wieder eine große Challenge, in neue Länder zu gehen. Insofern sind wir sehr stolz, inzwischen auch im größten und wichtigsten Fitnessmarkt der Welt, den USA vertreten zu sein. Sogar mit einer eigenen Niederlassung in Boulder, Colorado.

Und damit bin ich bei der aktuellen Situation: Mittenrein in unsere erfreuliche globale Entwicklung platzte die Pandemie. Der lang anhaltende, teilweise weltweite Lockdown unserer Branche ist sicherlich für alle Unternehmen die Herausforderung schlechthin. Wir haben 2020 einschneidende Entscheidungen getroffen, die ich auch immer wieder so treffen würde. Statt Kurzarbeit haben wir auf eine Kostenreduktion bei gleichzeitiger Stärkung unserer Entwicklungsaktivitäten gesetzt. Wir verzeichnen daher im bisherigen Verlauf des Jahres 2021 viele Aufträge in allen Segmenten.

Dennoch fahren wir im Moment in einer Art „Safety-Car-Modus“. Ich gehe aber fest davon aus, dass in dem Moment, in dem wir unseren Alltag wieder hochfahren, vor allem gesundheitsorientierte Anlagen ganz stark profitieren werden. Und dann ist EGYM überall ganz vorne mit dabei!

 

Fotos: Benjamin Olszewski 

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